Was unterscheidet Familien-
und andere Systeme und welches sind wichtige Voraussetzungen
für erfolgreiche systemische
Beratungen in Organisationen?
Wer Organisationen systemisch beraten will, sollte die
Unterschiede der Arbeit mit Personen in Organisationen (=
Systemen im beruflichen und wirtschaftlichen Kontext)
und Familien (= Systemen im privaten oder therapeutischen
Kontext)
gut kennen und beachten.
Unterschiede von Organisationsaufstellungen
zu Familienaufstellungen
Es scheint
deutliche Unterschiede zu geben zwischen Organisationen
– wie z. B. Unternehmen
(Industrie, Handwerk, Dienstleistung, Handel...), staatliche
Einrichtungen (Behörden von Bund, Länder und Gemeinden,
Kindergärten, Schulen, Hochschulen...), soziale
Einrichtungen (Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime,
Kliniken...), kirchliche Einrichtungen
(Beratungsstellen...), Verbänden und Vereinen etc. – und
Familien.
In Organisationen gibt es eine
Mitgliedschaft auf Zeit
Personen können
dazukommen, eine bestimmte Zeit dazu gehören, z. B.
mitarbeiten, und dann wieder weggehen, selbst kündigen oder
auch entlassen werden.
In Familien gibt es keine Mitgliedschaft auf Zeit. Jeder
gehört sein Leben lang zu seiner Familie, gleichgültig wo er
lebt. Jeder bleibt das Kind seiner Eltern, unabhängig davon,
ob er sie kennt, achtet, liebt oder nicht.
Menschen können vielen Organisationen nacheinander
angehören und diese jeweils wieder (für immer)
verlassen. Sie bleiben aber ihr Leben lang Mitglieder ihrer
Familie. Eine Mutter kann diese Funktion nicht kündigen,
selbst wenn sie dafür nichts mehr aktiv tut. Ein Vater
bleibt auch dann Vater, wenn er sich nicht um sein Kind
kümmert.
Menschen können vielen Organisationen zugleich angehören.
Sie können mehrere bezahlte Arbeitsstellen parallel
innehaben und gleichzeitig für mehrere Organisationen
(Vereine, Verbände, Gremien, Ausschüsse,
Sozialeinrichtungen...) ehrenamtlich tätig sein.
Vergleichbares gibt es in Familien nur sehr selten. Wir
können in der Regel nicht gleichzeitig vielen
Herkunfts-Familien angehören (höchstens mehreren
Gegenwarts-Familien).
In Organisationen gibt es vielfältige
Abstufungen
im Grad der Zugehörigkeit
Organisationen
kennen Inhaber, Gesellschafter und Mitarbeiter etc.
Das kennen Familien in dieser Form nicht.
Organisationen kennen Angestellte, Arbeiter, Beamte,
Vollzeitkräfte, Teilzeitkräfte, Mitarbeiter auf
Stundenbasis, Auszubildende, Aushilfen, Praktikanten, fest
Angestellte, freie Mitarbeiter, Berater etc. In
Organisationen kann es Vorstand, Geschäftsleitung,
Führungskräfte, Stabsstellen und Linienstellen,
Aufsichtsräte, Beiräte, Betriebsräte, Personalräte geben und
gesetzlich vorgeschriebene Spezialisten wie z. B. Daten-schutzbeauftragte, Sicherheitsbeauftragte,
Umweltbeauftragte, Frauenbeauftragte, Ausländerbeauftragte
etc.
Diese vielfältigen Abstufungen im Grad der Zugehörigkeit
gibt es in Familien nicht. Zwar existieren auch da gewisse
"Hierarchien", Eltern stehen den Kindern beispiels-weise
näher als Onkel und Tanten, entferntere Verwandte oder
frühere Partner der Eltern. In der Regel sind die Strukturen
jedoch weniger komplex als z. B. in großen
Wirtschaftskonzernen.
In Organisationen kann sich
der Grad der Zugehörigkeit
innerhalb kurzer Zeit ändern
Ein Mitglied kann jederzeit eine neue Funktion oder eine
neue Position einnehmen. Es gibt Beförderungen (Auf- und
Abstieg), Aufgaben- und Arbeitsplatzwechsel.
Diese Änderungen können sogar wieder rückgängig gemacht
werden durch den Wechsel der Aufgabe oder der
Hierarchieebene, durch eine Umstrukturierung oder
Neuorganisation.
Ein Mitglied einer Organisation kann plötzlich für ein
Tochterunternehmen oder für die Muttergesellschaft tätig und
verantwortlich sein.
All diese Veränderungen im Grad der Zugehörigkeit gibt es in
Familien praktisch nicht (oder nur in eingeschränkter Form
und seltener). Auch wenn sich in Familien Partner scheiden
lassen und danach wieder heiraten können, bleiben doch viele
Unterschiede zu Organisationen.
Ein Mensch bleibt gegenüber seinen Eltern immer Kind und
gegenüber seinen Kindern immer Vater oder Mutter. In
Familien gibt es keinen reversiblen Hierarchie-ebenenwechsel
(Beispiel aus der Wirtschaft: ein ehemaliger Mitarbeiter
wird zum Vorgesetzten seines früheren Chefs).
An systemische Organisationsberater
werden hohe Anforderungen gestellt
Organisationen sind daher wesentlich vielfältiger,
strukturierter, komplexer, schnelllebiger und instabiler als
Familiensysteme. Die systemische Arbeit mit Organisationen
scheint daher grundsätzlich oft wesentlich mehr Kenntnisse,
Fähigkeiten und Flexibilität vom Berater zu
fordern
als eine Familie. Zumindest
erfordern beide Aufgabenfelder andere und oft auch sehr
unterschiedliche Erfahrungen und Kompetenzen.
Von der Struktur her sind Familien in der Regel einfacher
und untereinander vergleichbarer aufgebaut als große
Unternehmen und Organisationen mit vielen Mitarbeitern und
vielen Hierarchieebenen.
Doch nicht nur von der Aufbauorganisation (äußere Struktur),
sondern vor allem auch aus Sicht der Ablauforganisation
(innere Prozesse), sind Organisationen wesentlich komplexer,
schwerer zu verstehen und daher auch diffiziler zu beraten
als Familien. In Unternehmen entscheiden z. B. oft sehr viel
mehr interne und externe Stellen mit, als Familien (lebende)
Mitglieder haben.
„Das Stellen von Organisationen fordert daher zu
Varianten in Methodik und Schwerpunktsetzung auf.“ (Guni-Leila
Baxa und Christine Essen in Prozessorientierte
Organisationsaufstellungen,
in: Gunthard Weber [Hrsg.],
Praxis der Organisations-aufstellungen, S. 130).
„Um klar zu
sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung“
Antoine de Saint-Exupéry
Organisationsaufsteller brauchen
anderes Knowhow
als Familienaufsteller
Um als Berater von den Mitgliedern einer Organisation
akzeptiert und respektiert zu werden, bedarf es sehr vieler
Voraussetzungen. Es ist nicht nur eine Frage des Fachwissens
und der Persönlichkeit, ob jemand von den
Organisationsmitgliedern so viel Autorität zuerkannt
bekommt, dass er sie erfolgversprechend beraten kann. Er
oder sie muss auch über sehr viel eigene Erfahrung
mit der Arbeit in Organisationen und in
Führungspositionen verfügen, um einen nachhaltigen
Rapport (Überein-stimmung/ gleiche Wellenlänge/Akzeptanz)
herstellen und aufrecht erhalten zu können.
Ein Kinderpsychologe z. B. wird sich schwer tun, von
Vorständen einer Aktien-gesellschaft in Fragen der
Unternehmensführung akzeptiert zu werden. Ein Suchttherapeut
wird kaum die Akzeptanz finden bei der Suche nach den Wegen
für einen höheren Umsatz eines Unternehmensbereiches oder
eines Markenartikels im Ausland etc.
Natürlich gilt das Umgekehrte auch: ein IT-Consultant wird
wohl kaum das Vertrauen der Eltern gewinnen, die Hilfe
suchen in der Erziehung kranker oder behinderter Kinder. Ein
Finanzberater wird wohl kaum in Fragen der Eheberatung
aufgesucht werden etc.
Ausbildung, Erfahrung, Kompetenz, Können, Outfit, Sprache,
Wertesysteme, Auftreten und vieles mehr müssen
zusammenpassen und ein harmonisches Ganzes bilden, das zu
den Anforderungen der zu beratenden Organisation und zu den
Erwartungen der Organisationsmitglieder passt. Nur dann ist
eine gesunde Basis für eine wirkungsvolle Arbeit gegeben.
Unternehmer lassen sich halt in der Regel lieber von
selbständigen Unternehmern beraten als von Angestellten
(egal ob aus dem eigenen Unternehmen oder aus einem
fremden). Führungskräfte fühlen sich besser verstanden, wenn
der Berater auch Führungskraft ist oder einige Jahre war.
Spezialisten akzeptieren einen Fachmann auf ihrem Gebiet
eher und schneller als einen völlig fachfremden Laien.
(Rapport/ Gemeinsamkeit/Stallgeruch/gleiche Wellenlänge ...
ist eben durch nichts zu ersetzen!)
Vergleichbare eigene Lebenserfahrungen
sind für einen guten Rapport unerlässlich
Selbst wenn innerhalb einer einzelnen systemischen
Organisationsaufstellung keine branchen- oder
betriebsspezifischen Kenntnisse notwendig wären, helfen
diese, die für den/die Kunden verständliche Sprache
zu finden und erleichtern damit die Akzeptanz und
Verständigung erheblich.
Wer sich im Bereich der Arbeit mit Privatpersonen und
Familien qualifiziert hat, kann in Organisationen (wie z. B.
in einer AG oder GmbH & Co. KG) sprichwörtlich gegen eine
Mauer laufen. Doch wer im Kontext seiner Kunden zuhause ist,
braucht für eine souveräne Arbeit als systemischer
Organisationsaufsteller durchaus auch die Kenntnisse und
Erfahrungen der Prinzipien aus dem Bereich der Familien-aufstellungen.
Denn oft stecken hinter den Struktur- und
Beziehungsproblemen in Organisationen ganz eindeutig
systemische Einflüsse und Beziehungsprobleme aus der
Familienkonstellation des Klienten
(z. B. reagiert jemand auf seine Führungskraft wie auf einen
Elternteil etc.).
Daher sind diejenigen Unternehmer, Firmen und
Organisationen, die einen kompetenten Berater oder
systemischen Aufstellungsleiter suchen, gut beraten, sich
dessen Qualifikation genau anzusehen. Ist er „nur“
Therapeut, „nur“ Trainer, „nur“ Unternehmensberater, „nur“
Familienaufsteller... oder vereinigt er mehrere Kompetenzen
in der für das Anliegen des Kunden passenden Form? Im
letzteren Fall sind die idealen Bedingungen für eine
konstruktive und erfolgreiche Zusammenarbeit gegeben.
Für alle
Aufstellungskollegen:
Diese Gedanken sollen zum Nachdenken und zur Diskussion
anregen. Sie sind nicht als Behauptungen oder
wissenschaftlich bewiesene Tatsachen aufzufassen. Sie sind
in der Absicht geschrieben, jede Form und Variante der
Aufstellungsarbeit gleichermaßen zu wertschätzen. Sicherlich
lassen sich aus der Sicht psychotherapeutisch arbeitender
Familiensteller genauso deutlich Aspekte finden, die es
vielleicht in der Organisationsaufstellung nicht oder
weniger geben mag wie umgekehrt.
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